Die Stadthalle, Zürich ZH, Switzerland

Nenad Mlinarevic: Von der Hochgastronomie in die Garage

Er war «Koch des Jahres 2016», schwang den Kochlöffel bis zu 18 Gault-Millau-Punkten und wurde mit zwei Michelin Sternen ausgezeichnet. Nenad ist der Rocker unter den Starköchen der Schweiz. Jung, wild, etwas unangepasst – auch optisch. Doch statt seinen erfolgreichen Weg in der Hochgastronomie weiter zu gehen, hörte er im Parkhotel Vitznau auf und zog in die Stadthalle nach Zürich. Hier, in den alten Räumen der Stadthalle, wurden bis vor Kurzem noch Autos repariert. Es ist dreckig und dunkel und hat so gar nichts mit einem 5-Sterne-Haus am Vierwaldstättersee zu tun. Es ist aber genau der Ort, der zum hippen Zürich – und Nenad – passt. Ein Ort, der von aussen unscheinbar ist, innen dunkel, leicht heruntergekommen und im DIY-Stil eingerichtet.

An der Bar schaukelt man auf alten Autoreifen, die an frühere Zeiten erinnern, und trinkt Champagner. Gegessen wird an Tischen, die an Jugendherbergen erinnern und speist auf Sterne-Niveau. Hoffentlich auch, denn die Erwartungen an Nenad sind hoch. Ich kenne seine hochgelobte Küche aus alten Zeiten, die mich stets fasziniert hat, und ich bin gespannt, ob er den Zauber auch in der alten Stadthalle auf den Tisch bringt.

Das Menü ist im Sharing-Konzept aufgebaut. Gereicht werden kleine Teller und Schalen, die man sich mit seinem Gegenüber teilt. Wir sitzen an einem kleinen Zweiertisch, hinter uns sind lange schwarze Vorhänge montiert, um den grossen Raum zu unterteilen. Die Tische stehen eng aneinander, sind aber – im Gegensatz zu manch anderem Pop-Up-Restaurant – noch grosszügig verteilt. Der Gast hat hier lediglich die Wahl zwischen Veggi-Menü oder mit Fleisch. Wir wählen Letzteres. Dazu trinken wir einen Weisswein, Bio-Qualität und unfiltriert, aus Italien. Im Anschluss wählen wir einen Roten aus Österreich. Die Weinberatung ist gut und symphytisch, die Preise moderat.

Der Menüpreis beträgt CHF 95. Dafür kommt zum Beispiel folgendes auf den Tisch: Lachs mit Gurke, Schweinebauch auf Kopfsalat, Pickels, Chili und Koriander oder Burrata mit Federkohl, Garnelen mit Edamame und Stundenei mit Süsskartoffel und Lauch.

Beim Essen sind meine Begleitung und ich uns einig: Alles schmeckt hervorragend. Aber der grosse Wow-Effekt (mit Ausnahme vom Schweinebauch) bleibt aus. Es passt alles, ist stimmig, frisch und sehr schön präsentiert. Jedoch weit entfernt von früheren Leistungen.

Zudem ist die Geschwindigkeit der Speiseabfolgen ein Problem. Zwischen Vorspeise und Hauptgang lagen genau 3 Minuten. Noch nicht einmal Zeit für eine Zigaretten-Pause oder den Gang zum WC. Warum so schnell auf- und abgetischt wird, merken wir bald. Die Tische werden am Abend mehrmals belegt. Neben uns trudeln Gäste um 21.30 Uhr noch ein und nehmen Platz. Ungewöhnlich für einen Besuch am Werktag. Grundsätzlich spricht nichts gegen eine Mehrfachbelegung. Trotzdem sollte der zahlende Gast genug Zeit haben, sein Menü zu geniessen. Wir bitten nach dem Hauptgang um eine Pause. Schliesslich wird zum krönenden Abschluss eine Tischbombe aus Schokolade mit süssen Leckereien auf unserem Tisch zerplatzen. Dafür braucht es etwas Platz im Magen. Die Verschnaufpause wird uns gewährt und nach einiger Zeit geht der Spass weiter. Die Tischbombe macht Freude, schmeckt hervorragend und zieht das Sharing-Konzept bis zum Schluss durch.

Es ist interessant zu beobachten, wer hier speist. Zu 90% sind es sicherlich nicht die Gäste, die Nenad schon in Vitznau besucht haben. Es sind junge Leute, die wahrscheinlich das erste Mal auf Sterne-Niveau essen, Menschen, die neugierig sind und das Urbane lieben. Uns gefällt, dass Nenad seine Kochkunst der breiten Öffentlichkeit zugänglich macht. Nur an Niveau, Raffinesse und Überraschung hat er dafür eingebusst. Die Stadthalle schliesst am 3. Februar 2018. Danach geht es weiter für das Trio: Nenad wird zusammen mit Valentin Diem und Patrick Schindler das Altstadtlokal «Bauernschänke» übernehmen. Dem Sharing-Konzept wollen die drei treu bleiben. In der «Bauernschänke» wird Nenad allerdings nicht mehr selbst den Kochlöffel schwingen, sondern als Berater und Erfinder neuer Rezepte fungieren. Wir sind gespannt.

Patrick’s Bewertung:
Ambiente: 4/6
Service: 5/6
Essen: 4/6
Preis/Leistung: 4/6
Gesamtwertung: 17/24

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